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Naturerfahrungsräume in Großstädten

Flächen zum Rennen, Buddeln, Matschen und Klettern, zum Tiere beobachten oder Früchte Naschen – Erfahrungen in er Natur haben für Kinder einen besonders großen Wert. Gerade in Großstädten sind naturbelassene Freiräume selten. Viele Städte und Gemeinden haben inzwischen erkannt, wie wichtig es ist, dass Menschen Natur erfahren und begreifen können.

Wie sie Naturerfahrungsräume planen, einrichten und dauerhaft betreiben können, beschreibt ein neuer Leitfaden des Bundesamtes für Naturschutz und der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Der Leitfaden steht auf der Seite des Bundesamtes für Naturschutz (Hrsg.) kostenfrei zum Download zur Verfügung.

 

 

1. Was sind Naturerfahrungsräume

Naturerfahrungsräume (NER) sind naturnahe Freiflächen, auf denen Kinder im Alter zwischen 6 und 12 Jahren ohne Begleitung Erwachsener und ohne vorgegebene Spielelemente frei spielen und toben können (Erdhügel, Matschlöcher, lose Materialien…). Dabei steht das Erfahren und Entdecken der Natur genauso wie der damit zusammenhängende Erholungseffekt im Vordergrund. Die Kinder sollen schon in der Planungs- und Einrichtungsphase mit einbezogen werden, und in der Phase des Betriebes des NER den Raum immer wieder neu mitgestalten, z. B. durch Hüttenbau, Pflanzaktionen etc.

Ein NER sollte über eine Fläche von 1 bis 2 Hektar verfügen, wobei nur 50 Prozent davon extensiv gepflegt werden. Die andere Hälfte wird der Strukturierung durch die Natur überlassen. Ein NER sollte immer in unmittelbarer Wohnumgebung von Kindern liegen (im Umkreis von ca. 300 bis max. 500 Metern), damit diese ihn selbständig aufsuchen können.

  1. Warum Naturerfahrungsräume?

Gerade in Großstädten fehlt es Kindern häufig an Möglichkeiten des unbeobachteten, selbstbestimmten und freien Spiels in der Natur. Wissenschaftliche Studien belegen jedoch, dass gerade diese Aspekte für die kindliche Entwicklung, für ihre physische und psychische Gesundheit, unabdingbar sind.

Schon 2007 wurde im Rahmen der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit hervorgehoben: Positive Naturerfahrungen stärken „(…) das Lebensgefühl, schulen die sinnliche Wahrnehmung und das ästhetische Empfinden, vermindern Aggressivität, fördern Aufmerksamkeit, Konzentration und Wahrnehmungsfähigkeit sowie die Ausbildung motorischer Fähigkeiten“ (BMUB, 2007).

2010 wurden Naturerfahrungsräume in das Bundesnaturschutzgesetz aufgenommen. Damit hat der/die Gesetzgeber*in einen wesentlichen Schritt zur Umsetzung des Ziels, Kindern in der Stadt Erfahrungen mit der Natur in ihrem direkten Lebensumfeld zu ermöglichen, unternommen.

  1. Warum dieser Leitfaden

Dieser Leitfaden, geschrieben von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) und herausgegeben vom Bundesamt für Naturschutz soll eine Arbeitshilfe zur Errichtung von Naturerfahrungsräumen darstellen. Adressaten sind sowohl Eigentümer:innen von NER, als auch Planer:innen, mögliche Träger sowie Nutzer:innen wie Pädagog:innen besuchender Einrichtungen und Eltern.

  1. Wie wirkt der Leitfaden auf mich?

Das Inhaltsverzeichnis wirkt übersichtlich und gut strukturiert. Zu jedem der vier Kapitel (Projektvorbereitung, Planung, Einrichtung und Betrieb) gibt es einen schnellen Überblick und am Ende eines jeden Kapitels eine Zusammenfassung und eine Art Checkliste für den/die potenzielle(n) Betreiber:in. Jedes Kapitel verfügt über mind. neun Unterpunkte, welche je nach Interesse vertiefend gelesen werden können. Es gibt Register zur schnellen Orientierung, Kästen mit Beispielen aus der Praxis und Seitenspalten mit weiterführenden Informationen, Verweisen und Lesetipps.

Wer mit der Idee spielt, einen NER zu eröffnen, findet in diesem Leitfaden meiner Meinung nach eine gute Arbeitshilfe.

Da ich selbst aber weder Eigentümerin noch Planerin bin, jedoch Pädagogin und zweifache Mutter, somit also Nutzerin, habe ich mich entschieden, den Leitfaden mehr aus dieser Sicht zu lesen.

 

Für mich war es interessant zu erfahren, was es in der jeweiligen Phase zu beachten gilt, weil dadurch die Idee des NER für mich verständlicher wurde. Besonders interessant fand ich dabei die vielfältigen Partizipationsmöglichkeiten für Kinder, vom Beginn der Planungsphase bis zum eigentlichen Betrieb eines NER.

So können in Workshops mit Kindern z. B. Ideen für einen NER gesammelt werden, welche zu einem späteren Zeitpunkt mit weiteren Kindern abgestimmt und als Änderungswünsche in die Planung eingearbeitet werden.

Während der Einrichtungsphase des NER können Kinder aktiv am Bau beteiligt werden. So können sie beispielsweise bei Aufräumaktionen mithelfen, sich beim Bauen mit Schnittgut und Gehölzen einbringen, mit Hilfe Erwachsener Erdmodellierungen vornehmen und Steinhaufen zusammentragen. Mit Kindern können wunderbar gemeinsame Pflanzaktionen für ihren zukünftigen NER durchgeführt werden.

Wenn Kinder an der Aufstellung von Regeln beteiligt werden, um das Miteinander im NER zu gestalten, sind sie meiner Erfahrung nach eher bereit, sich an diese auch zu halten. Also ist es aus meiner Sicht sinnvoll, dass auch dieser Prozess vorgesehen ist und mit den Kindern anschließend gemeinsame Schilder zur Veranschaulichung von Regeln aber auch zum Hinweisen auf verschiedene Tiere gemalt werden.

Und nicht zu vergessen der gemeinsame Prozess der Namensfindung für den zukünftigen NER!

Ist der NER in Betrieb geht es mit der Partizipation weiter. Kinder können beteiligt werden bei Pflegeeinsätzen und Instandhaltungen, sie können bei Reparaturen helfen und das Materiallager z. B. für Schichtholzhecken auffüllen. Besonders gut gefällt mir die Idee, dass Kinder Patenschaften für Bäume und Sträucher übernehmen und so die Möglichkeit bekommen, Verantwortung zu zeigen. Gelingende Verantwortungsübernahme stärkt das Selbstwertgefühl und im NER die Sensibilisierung und Wertschätzung für die Natur.

Kinder können sich außerdem für Ämter und Aufgaben wählen lassen, welche sie für einen bestimmten Zeitraum ausführen. Und sie können und sollen jederzeit den Raum mit und in ihrem Spiel umgestalten! In einer Welt, in der stets und ständig über ihre Köpfe hinweg entschieden wird, ist das aus meiner Sicht besonders wichtig.

Das alles fördert die Identifikation der Kinder mit ihrem NER und bewirkt, dass mit den Flächen, den Materialien, der dort vorhandenen Natur und Tieren sorgfältig umgegangen wird. Sprich: Vandalismus wird vorgebeugt.

  1. Meine Einschätzung

Der Leitfaden basiert auf den Ergebnissen einer mehrjährigen Erprobung zu Naturerfahrungsräumen in Berlin. Im Rahmen des Projektes wurden drei NERs in Berlin errichtet:

  • in Spandau die Wilde Welt am Spieroweg
  • in Marzahn-Hellersdorf die Wilde Welt am Kienberg
  • in Pankow die Wilde Welt an der Moorwiese.

Letzteren kenne ich persönlich bzw. habe ihn mit meinen Kindern schon besucht.

Das Prinzip der NER ist, dass das freie Spiel immer Vorrang hat.

Freies Spiel bedeutet, dass Kinder den Ort, die Dauer und die Art und Weise des Spiels bestimmen und nichts durch einen Erwachsenen vorgegeben wird. Inspiriert werden sie im NER vor allem durch Wetter, Jahreszeiten, Fundstücke und ihre eigene Stimmung.

Jeder NER soll eine/n sogenannte/n Kümmer/er:in haben. Dessen/ deren Hauptaufgaben sind:

  • Fläche: Pflege/Wartung/Sicherheit
  • Partizipation im Betrieb
  • Netzwerk-/Informationsarbeit
  • Spielaktionen

Die Spielaktionen sollen jedoch nur mit dem Ziel angeboten werden, dass Kinder den NER kennenlernen bzw. sie sollen Hilfestellung bieten, wenn sich Kinder schwer tun, ins selbstständige Spiel zu kommen.

Laut Leitfaden hat der Kümmerer keine Aufsichtspflicht und muss nicht zwingend eine pädagogische Ausbildung haben, auch wenn diese gerne gesehen wird.

 

Letzteres sehe ich kritisch. Meiner Einschätzung nach sollte ein Kümmerer immer eine pädagogische Fachkraft sein, oder dem Kümmerer sollte ein/e Sozialarbeiter:in oder ein/e Erzieher:in zur Seite gestellt werden.

Es ist eine Tatsache, dass viele Kinder Zuhause wenig Ansprache und Förderung erfahren. Nicht wenige leben in beengten Wohnräumen und erleben dort ein Klima aus Gewalt und Vernachlässigung. Es sind Kinder, die oft nicht gelernt haben, wie sie auf gute und angemessene Weise mit anderen Kindern in Kontakt kommen bzw. Kontakt eher über aggressive Auseinandersetzungen suchen. Ein/e Kümmer/er:in, der/die nicht in Konfliktlösung geschult ist, kann hier leicht an seine/ihre Grenzen stoßen, Kinder dann des Platzes verweisen und für diese eine bekannte Erfahrung reproduzieren, die ihr negatives Selbstbild festigt.

Auch für Gespräche mit Eltern ist eine Ausbildung in Gesprächsführung mitunter sehr wichtig. Denn diese müssen das Vertrauen aufbringen, ihre Kinder auf dem NER spielen zu lassen.

Was die Spielangebote lediglich als Hilfestellung angeht, muss ich an die vielen Kinder denken, die Zuhause mit Technik regelrecht ruhig gestellt werden. Ich könnte mir vorstellen, dass sie viel mehr Anleitung auf einem NER brauchen, als es das Konzept vorsieht. Wie oben beschrieben gibt es in Ballungsräumen wenig unberührte Natur. Selbst Kinder, die draußen spielen, sind Spielplätze gewohnt, auf denen ihnen durch die dort angebrachten Spielgeräte ziemlich genau vorgeben wird, was sie spielen können.

Es bräuchte aus meiner Sicht also mehr aktive Angebote durch Pädagog:innen für die Kinder auf den NERs. Im Leitfaden auf S. 232ff. findet man hierfür auch gute Anregungen:

  • Bewegungsspiele
  • Sammelspiele
  • Spurenlesen
  • Begegnung mit einem Baum
  • Nach Vögeln lauschen
  • In den Himmel schauen.

Diese sollten aus meiner Sicht großzügig eingesetzt werden.

 

In meiner langjährigen Arbeit in der Familienhilfe habe ich immer wieder beobachtet, wie Kinder, die sich mit ihren Familien hauptsächlich drinnen aufhielten, in ihren natürlichen Eigenschaften wie Neugier, Experimentierfreude, Kreativität und Phantasie verkümmerten und damit einhergehend immer unruhiger und aggressiver wurden. Tatsächlich wiesen sie häufig Stresssymptome auf, die denen Erwachsener ähneln.

 

Ich bin überzeugt, dass ein regelmäßiger Besuch eines NER dem entgegen wirken kann. Dort können Kinder zur Ruhe kommen, sich erholen, Stress abbauen und positive Erfahrungen machen, mit der Natur, mit sich selbst und mit anderen Kindern.

Ich denke, es bräuchte sehr viel mehr Naturerfahrungsräume in Großstädten. Meine Idee wäre, dass zu Anfang eines Schuljahres die Schulen mit jeder Grundschulklasse den nächstgelegenen NER aufsuchen, damit die Kinder den Raum kennenlernen, für sich annehmen und in ihrer Freizeit nutzen können.

Sicherlich würden viele Kinder begeisterte Nutzer:innen werden.

Auch mir haben alleine schon die Bilder der Naturräume in diesem Leitfaden richtig Lust gemacht, so schnell wie möglich mit meinen Kindern wieder RAUS zu gehen!

 

Lernen mit Freddy

macht Spaß

Wissenswerte und hilfreiche Arbeitsmaterialien für Kindergarten und Grundschule.

 

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